Die fruchtbaren Jahre sind vorbei
Natascha Beller, Switzerland, 2019o
When Leila discovers at her sister's wedding that the latter is pregnant, she promptly reveals the carefully guarded secret. While the guests are happy, Amanda worries about her career and Leila about her fertility. Panic-stricken, Leila sets herself the goal to get pregnant. So together with her friend Sophie she throws herself into the nightlife. Sophie is more concerned with the search for babysitters and probably won't snatch a man from her.
Eine Gag- und Temporeiche Schenkelklopfer-Komödie über Erfahrungen und Erwartungen, die Ü-30-Frauen begegnen. Der Plot mag etwas dünn sein, aber die Deville Late Night-erprobte Natascha Beller (Buch und Regie) macht das mit originellen Bildeinfällen und hoher Pointendichte wett, weshalb dieser Eisprung-Klamauk die lustigste Schweizer Komödie seit langem ist.
Julia MarxEine freche, romantische Komödie über den unerfüllten Kinderwunsch einer 34-Jährigen – witzig, spritzig und in Kenntnis von Vorbildern wie Ally McBeal in Szene gesetzt. (...) Die Pointen sitzen, das Ensemble scheut weder irre Nacktszenen noch Abstecher ins Horror-Genre. Sehr gelungen!
Mathias HeybrockDie fruchtbaren Jahre sind vorbei ist die flotteste, frechste und schlichtweg fabulöseste Schweizer Filmkomödie seit Jahren. So viel Inszenierungswitz und Stilsicherheit beim Début? Für Beller werden sich viele Türen öffnen.
Lory Roebuck (jetzt: NZZ)Galleryo
Natascha Bellers Komödie «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei» ist der einzige Schweizer Film auf der Piazza in Locarno. Das Drehbuch wollte niemand finanzieren.
Natürlich ist die Schweizer Komödie «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei» nicht immer lustig. Ein paar Gags fallen so flach, dass es wehtut. Aber wenn sie komisch ist, dann ist sie richtig komisch und lässt das ganze schlaffe Sich-witzig-finden hinter sich, das man in der Schweiz seit Ewigkeiten als Humor durchgehen lässt. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Protagonistin Leila (Michèle Rohrbach, ein komödiantisches Grosstalent) einen Regentanz macht um ihren Campinggrill und immer wieder ruft «Ich bi di Nöchscht, wo es Chind überchunnt!». Das ist delirierender Blödsinn, in dem der Wahnsinn der ganzen Wahrheit steckt. Ein Superquatsch, auf den nur Superschlaue kommen.
Das Wunder: Die Selbstbefreiung des Schweizer Humors funktioniert innerhalb des Formats der amerikanischen Liebeskomödie – hohe Pointendichte, viel Tempo, die Handlung wird stark zugespitzt. Gedreht hat den Film die 37-jährige Zürcherin Natascha Beller, Autorin und Regisseurin bei «Deville Late Night». Ihr «Deville»-Kollege Patrick «Karpi» Karpiczenko hat die Kamera gemacht, und wenn man die beiden kennt, weiss man, dass es aus den Schreib-Sessions oft nur die anständigeren Witze in die Satiresendung schaffen, der Rest dreht sich oft um Penisse.
Beller ist die Tochter des Bauunternehmers Walter Beller, vor allem aber das Kind von Blödelkomödien wie «Hot Fuzz». Dort habe sie sich die Schnittübergänge genauer angesehen, sagt sie beim Treffen in Locarno. Liebeskomödien mag sie gern, aber ihr Kinodebüt sei ja doch eher eine unromantische Komödie. «Das Genre hat sich inzwischen ausgeleiert.» Da brauche es auch unsympathischere Frauenfiguren, so wie jene von Amy Schumer in «Trainwreck».
Diese Figur holt sich von den Männern, was sie will, und in «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei» will Leila auch unbedingt etwas: ein Kind. Sie ist ja doch schon über 30, und die anderen haben auch alle eins, also los. Ihre Schwester Amanda (Sarah Hostettler) ist bereits schwanger und dazu erfolgreiche Architektin (wobei das mit der Vereinbarung von Baby und Beruf dann kompliziert wird, vor allem auf der Baustelle). Und was hat Leila bei sich zu Hause? Die Spätfolgen eines One-Night-Stands, einen Typen, der sie «Müüsli» nennt und zum Thema Kinder sagt, darüber könne man ja morgen noch reden. Weg damit, aber was nun? In den Dating-Kampf der Ü-30?
Die Witze holt Beller direkt aus dem Leben. Wenn Leila in Zürich Männer anflirtet, fürchten die sich vor allem davor, dass die Frauen Löchli ins Kondom machen, oder sie lösen sich gleich in Luft auf, sobald Leila ihr Alter verrät (Beller hat das selbst so erlebt). Im Ausgang muss sie die Teenagerinnen fragen, was die «Zuki» sei (ein Club an der Langstrasse). Die Kriegsbemalung, die sie sich für die Partnersuche aufgetragen hat, verwandelt sich auf der Tanzfläche in einen Ü-30-Stempel – etwas, was laut einer Kollegin «nur mit sehr viel Alkohol weggeht». Die Erzähleinfälle sind originell – ein Kampf zwischen Leila und einer anderen Single-Frau wird als Western-Duell inszeniert –, die Typologien der Mütter, von alleinerziehend bis karrierefixiert, bleiben eher Typologien, aber auch das gehört zu den Regeln der Klamaukkomödie.
Vor allem, weil Beller beide Seiten zeigt, auch Amandas Mann, der schon um Hilfe ruft, wenn zu Hause der Schoppen umkippt, und dann einen Bauarbeiter vorschickt, der ihr stellvertretend die Vorwürfe vorträgt. Aber was ist dümmer, die lächerliche Solidarität unter Männern oder die kindische Konkurrenz unter Frauen? Am Ende extremisiert Beller Leilas Kinderwunsch in einer Weise, dass der Irrsinn gesellschaftlicher Erwartungen scharfgestellt wird. Kinderkriegen – es ist zum Verrücktwerden.
«Wenn sich Frauen über 30 austauschen, erzählen sie einander automatisch furchtbare Geschichten aus dem Dating- oder Beziehungsleben», sagt Beller. Unter den Horrorstorys, die sie für ihren Film zusammengetragen hat, ist jene von der Flughafenzöllerin, der der getrennt lebende Mann das gemeinsame Kind vorbeigebracht hat, weil er ja eh gleich in die Ferien fliegt. Erstaunlich sei auch, wie direkt die Leute auf Frauen in einem bestimmten Alter losgehen würden. «Wenn ich an einem Apéro keinen Alkohol trinke, werde ich sofort gefragt: ‹Bist du schwanger?›» Sind dann einmal Kinder da, bekämen gerade Regisseurinnen oder Autorinnen umgehend Absagen – und zwar ganz offiziell. «Dann heisst es, du hast ja jetzt ein Kind, du kannst das ja nicht mehr machen.»
Im Fernsehbetrieb sähe Beller gern mehr Autorinnen. Unter den Jungs von «Deville Late Night» führe sie manchmal den grösseren Kampf, wenn es darum gehe, etwas zum Frauenstreik zu machen, auch weil das dann ein Mann vor der Kamera vertreten muss. «Aber ich bin aufgewachsen mit einem Bruder und drei Cousins, ich war immer das einzige Mädchen.» Politisch bewege sich die Schweiz heute allerdings nirgendwohin. Dass sie selber noch die Einführung der Elternzeit erleben wird, glaubt Beller nicht.
Es scheint in der Schweiz sehr schwierig zu sein, eine Mainstreamkomödie mit schmerzhaftem Kern zu finanzieren. Vom SRF hat Beller Gaststars wie Dani Fohrler ausgeliehen, die «Deville»-Kameraausrüstung konnte sie verwenden, weil sie ihrer eigenen Produktionsfirma gehört. Sonst gabs überall Absagen. Die Förderin SRG lehnte das Drehbuch ab; beim Bundesamt für Kultur (BAK) hat sie erfolglos einmal das Treatment und zweimal das Drehbuch eingegeben; das sei ja mehr ein Fernsehfilm, hiess es dort sinngemäss. Bei der Zürcher Filmstiftung wurde das Drehbuch zweimal zurückgeschickt, am Telefon begründete ein älterer Herr den Entscheid mit einer auf den Inhalt gemünzten Frage: «Ist das denn ein Thema?»
Am Ende bekam Beller vom BAK und dem Migros-Kulturprozent je 50'000 Franken Postproduktionsförderung, etwas, was den Regisseuren hinterhergeschmissen wird, wenn der Grossteil der Arbeit schon gemacht ist. Dass Bellers Film als einzige Schweizer Produktion für die Piazza in Locarno ausgewählt wurde, ist pikant: Die künstlerische Leiterin Lili Hinstin hat das neue Drama einer ehemaligen Schweizer Filmpreisträgerin abgelehnt und wollte «Baghdad in my Shadow» von Samir nicht auf der Piazza zeigen (der Film läuft ausser Konkurrenz). Beides Spielfilme, die im Gegensatz zu Bellers Komödie vom Bund oder der Zürcher Filmstiftung stattlich finanziert worden sind.
Hinstins Herz schlägt für Bellers Komödie: Sie gehe sehr weit, findet sie. Die neue Chefin beeindruckt das Festivalpublikum als elegantes Wesen, das selbst gedrehte Zigaretten raucht und mit sympathischen Ausschweifungen auf Italienisch unterhält. Dass ihr all die gefälligen Piazza-Filme wirklich gefallen, die bis jetzt zu sehen waren, kann man sich nicht so recht vorstellen, aber sicher mag sie den satirischen Humor, der zum Beispiel in «Wir Eltern» steckt.
In Locarno ist der Film gerade das dokumentarische Gegenstück zu Bellers Komödie, er vermittelte das Gefühl, Kinderhaben sei gar keine gute Idee. Dokumentarfilmregisseur Eric Bergkraut und Schriftstellerin Ruth Schweikert verfremden in der autobiografischen Fiktion ihren Familienalltag in ihrer eigenen Wohnung im Zürcher Hürlimannareal; der Vater und die drei Söhne spielen Vater und Söhne, die Schauspielerin Elisabeth Niederer übernimmt den Part der Mutter.
Ein sehr interessanter Selbstversuch, der ganz locker daherkommt. Zwei Slacker-Teenager rauben den Eltern mit ihrer Anspruchshaltung und den Badezimmer-Schweinigeleien den letzten Nerv. Gut drauf haben sie auch den spätpubertären Beschuldigungs-Sound; den Eltern werfen sie Emotionalität vor, während sie sich selbst vor Gefühlen überschlagen, und sie schrecken weder vor Sexismus noch Zynismus zurück – bis der Vater vor Verzweiflung die Wäsche aus der Maschine wirft, weil sie wieder niemand ausgeräumt hat. In Wirklichkeit können diese Kinder sicher sehr liebenswürdig sein, aber «Wir Eltern» zeigt eine verschärfte Wirklichkeit und geht wie «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei» an die Extreme, um nah dran zu sein.