Zwingli
Stefan Haupt, Switzerland, 2019o
Zurich in the year 1519: Young widow Anna Reinhart ekes out a meager existence, caught between her constant fear of the church and her worries about the future of her three children. But then, the arrival of a man plunges the city into turmoil: The young priest Huldrych Zwingli has taken up his new post at the Grossmünster in Zurich and his sermons against the failings of the Catholic Church are sparking heated discussions. When the Catholic forces begin to unite both at home and abroad, the burgeoning relationship between Zwingli and Anna is put to a difficult test.
Zwingli war keine lustfeindliche Spassbremse. Um mit dem Vorurteil aufzuräumen, lässt Stefan Haupt («Der Kreis») das alte Zürich beeindruckend aufleben. Nur buchstabiert er die Geschichte etwas sehr brav durch, und die Dialoge klingen manchmal lustig: «Zwingli, das isch Blasphemie!» -- «Chabis!».
Andreas Scheiner"Tut um Gottes willen etwas Tapferes.", fordert Luthers Schweizer Pendant Ulrich Zwingli von der Zürcher Regierung. Guter Vorsatz, der macht das opulente Historiendrama von Stefan Haupt leider auch nicht spannender. Pünktlich zum eidgenössischen Reformationsjubiläum ist Max Simonischek als revolutionär entflammter Kämpfer gegen Ablasshandel, Zölibat und den Machtmissbrauch der katholischen Kirche zu sehen. Trotz viel Herzblut plätschert die Handlung dröge vor sich hin und einige dramaturgische Entscheidungen erscheinen seltsam unausgereift.
Anna SteinbauerPour raconter Zwingli (1484-1531), ce réformateur zurichois devenu célèbre dans le monde entier pour des travaux prompts à balayer l’ordre établi et bousculer les valeurs fondant le système social et religieux de l’époque, Haupt procède selon un classicisme éprouvé. La justesse donne le ton, le vérisme de l’emballage fonde et dicte le tissu narratif. Ce respect formel annule tout effet de surprise et le film s’avère in fine purement représentatif, même si Haupt prend soin de nuancer chaque personnage, parvenant à les faire exister sous leurs costumes. Du coup, l’aspect hagiographique du métrage s’en trouve moins figé et ses ambitions parfaitement endossées par sa mise en scène. Un film nécessaire pour la Suisse.
Pascal GavilletGalleryo
«Zwingli» ist historisch korrekt und trotzdem spannend. Er erzählt von Freiheit – und einer Liebesgeschichte.
Ein Historienfilm, in dem «historisch» nicht nur heisst, dass die Darsteller den auftretenden Kostümen wie angegossen passen, ist ja von Natur aus eine Zwickmühle: Er soll Geschichte sein und muss doch Drama werden. Er macht eine Gegenwart aus einer Vergangenheit, und die Spannung trägt Verantwortung für die Wahrheit, aber die Wahrheit für die Spannung auch.
Die Wahrheitspflicht wächst mit der Bedeutsamkeit des Themas, ethisch und ästhetisch. Die Spannungspflicht wird deshalb nicht kleiner; und das Leben des Huldrych Zwingli und die Sache der zwinglianischen Reformation, der Zürich ein ordentliches Armenwesen verdankte, die Zürcher Bibel, «treülich verteütschet», und über Jahrhunderte eine frühe grabähnliche Nachtruhe, sind doch wohl gross genug, um nicht zu schludern.
Kein Erbsenzählen
Mit allem Respekt: Es sind dem lehrreichen, wiewohl etwas lehrhaften, gar nicht langweiligen, akribisch kostümierten, nicht allzu heftig kolorierten Historienfilm «Zwingli» von Stefan Haupt keine Schludereien vorzuwerfen. Weder religionsgeschichtlich noch biografisch und atmosphärisch. Wirklichkeitskonzentrationen, Auslassungen, sprachliche Modernismen, bekömmliche Sentimentalitäten und die etwas zu gesunden Zähne des historischen Personals sind noch lang keine Geschichtslüge.
Die Zürcher Reformation, die sehr aufs Wort aus war, ist also bildersatter Film geworden. Man könnte das für einen Widerspruch halten, für Verrat am Geist einer protestantischen Kargheit, aber was hätten Herz und Kopf davon? Im Konfliktfall zwischen Geschichte und Kino ist der Filmkritiker doch auf der Seite des Kinos. Das wäre die Seite der Toleranz und der Lust auf Drama, des Rührenden und nicht unbedingt des Verbürgten.
Womöglich kommts über «Zwingli» aber gar nicht zum Konflikt. Denn Geschichte als Wissenschaft ist auch kein Erbsenzählen. Auch sie versteht Wahrheit als Prozess von Wahrnehmung und Imagination.
Ein bisschen komplexer als in «Zwingli» wird es sich damals zwischen 1519 und 1531 gewiss verhalten haben mit dem Motivationsgemenge der Reformatoren und der zu Reformierenden. Weniger organisiert in den «Schnitten» zwischen den Reformationskapiteln. Weniger individualheroisch in der theologischen Kreativität. Weniger sanft in der Sittenstrenge und weniger eindeutig im sozialpolitischen Gerechtigkeitssinn.
Ein Modell des Erklärens und Gedenkens
Spielfilm ist das halt, und sein dramatisches Schnittmuster (Drehbuch: Simone Schmid) geht so: Ein Mann kommt in eine Stadt und tut, was ein Mann tun muss. Zwingli (Max Simonischek) ists, es ist ihm ein Reinigungswerk aufgetragen in dieser waffen- und rattenstarrenden Zeit der Pestilenz und des Höllenglaubens, der Habgier der Kirche, des Elends der Armen, der Völlerei der Reichen und der gottsträflichen Reisläuferei.
Keiner könnte das sonst, und als die Pest ihn befällt, rettet ihn die Liebe einer Frau (Sarah Sophia Meyer) und zu einer Frau, der Priester wird Ehemann, und auch das passt wundersam in die Geschichte von der Verwandlung katholischer Sünde in reformierte Freiheit. Sie führt einen Helden zum Licht und in den Tod für den neuen Glauben.
An der geschichtlichen Tatsache des Todes war im Film natürlich nicht zu rütteln, deshalb trifft am Ende die Nachricht ein, der altgläubige Feind habe nach der zweiten Kappeler-Schlacht 1531 den Zwingli zerhackt, verbrannt und in die Winde gestreut. Jedoch, wie es mit Helden ist: Danach fängt bei einem Zwingli das Leben ja erst an.
So ist dieser Film ein Modell des Erklärens und Gedenkens und als solches, es kann sein, etwas zu modellhaft und reformationsselig. Aber tadellos, bei Nachsicht gegenüber einigen Klischees (was tut ein katholischer Bischof, während er antireformatorische Strategien erwägt? Er stopft Geflügel in sich hinein). Es sind auch die Schlacken und Widersprüche von Zwinglis Pragmatismus nicht vergessen, die unselige Mischung aus ritueller Strenge und stadtpolitischem Kalkül, die das Ersäufen von Wiedertäufern in der Limmat beförderte.
Wohltuender Widerspruch
Überhaupt ist Stefan Haupts Inszenierung am besten in den Augenblicken des Widerspruchs. In den Momenten von unmittelbarem Gegenwartsgefühl in einer lebendigen Vergangenheitsstimmung. Dort ist dann die menschliche Wärme der letzten Ungewissheit: in der Szene vom berühmten fasttäglichen «Wurstessen» (1522) beispielsweise, sie essen da im Film das verbotene Fleisch wie Hostien, und man spürt eine Gruppe entschlossener Verschwörer quasi beben aus Angst vor und vor Lust auf ein Sakrileg. Oder dort ist wahrhaftige Modernität des Mittelalters: in der klugen Darstellung des Zürcher Bürgermeisters Diethelm Röist (Stefan Kurt) etwa, eines ausgefuchsten Bündnispolitikers, den die katholische Kirche längst nicht mehr am Nasenring führen kann.
Ein paar Tage nach Zwinglis 535. Geburtstag hat «Zwingli» jetzt Premiere. Im Lauf dieses Reformationsjahrs sollen vor allem auch Zürcher Schüler in Gratisvorstellungen Zugang haben. Das passt, es ist ein durchaus pädagogisches Werk. Vielleicht wird ihm helfen bei der reiferen Jugend, dass Max Simonischek ein unverstaubter Reformator ist. Im Saft seiner Kraft und ein wenig bübisch beim Trotzen. Ausserdem stehen ihm Soutane und Harnisch ausgesprochen gut.
Der Regisseur des Zwingli-Films Stefan Haupt erklärt, was ihn am Reformator reizte – und wieso er keinen «Braveheart» drehen wollte.
Ihr Hit «Der Kreis» handelte von zwei Zürcher Schwulenikonen. Jetzt sind Sie bei der Ikone der Reformation gelandet. Wie gelingt so ein Spagat?
Ich hatte immer Freude, von Thema zu Thema zu springen. Das war schon nach meinem Dokumentarfilm über die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross so, die in der Sterbeforschung auch ein bisschen eine Ikone war. Danach kamen haufenweise Anfragen, ob ich nicht einen Film zum Thema Nahtoderfahrungen machen möchte. Ich habe alle abgelehnt.
Wieso waren Sie auf Zwingli neugierig?
Ich bin in einer Freikirche aufgewachsen, der methodistischen. Die Landeskirche erschien mir da immer als die freiere Kirche. In der Schule hatte ich eine Freundin, meine Eltern sagten: «Aber du weisst, du wirst sie nie heiraten können, sie ist katholisch.» Und vor den italienischen Gastarbeitern hatte man auch deshalb Angst, weil die so viele Kinder hatten, und man fürchtete, Zürich bekäme wieder eine katholische Mehrheit. Themen wie Religion, Kirche, Gesellschaft waren also immer schon präsent.
Wenn man mit einem urschweizerischen Stoff wie «Zwingli» kommt, öffnen sich da alle Fördertöpfe?
(lacht) In der Jury der Zürcher Filmkommission sitzen von fünf Leuten drei Deutsche.
Soll heissen, bei der kantonalen Filmförderung war «Zwingli» kein Selbstläufer?
Nein. Und national gesehen, gibt es ja zum Teil auch eine Ablehnung gegen Zürich, den selbstbewussten Finanzplatz mit den fleissigen, arbeitsamen Reformierten. Mich hat überrascht, dass Zwingli als Zürcher Thema wahrgenommen wird; er hatte Einfluss auf die ganze Schweiz, ist eine Figur von internationaler Grössenordnung, auf die wir viel stolzer sein könnten. Es war knochenhart, den Film auszufinanzieren.
Mit fünfeinhalb Millionen Franken ist es eine der teuersten Schweizer Produktionen.
Aber das ist ja noch kein Qualitätsmerkmal. Den Aufwand hats einfach gebraucht. Unsere Kostümbildnerin etwa wollte die Leute wirklich so anziehen wie früher, mit vier, fünf Lagen an Kleidern. Aus Madrid, wo der beste Kostümfundus Europas ist, bestellten wir Lastwagenladungen. Auch aus Prag und Rom kamen 40-Tönner mit Ausstattungsgut. Das war nötig, um das Zürich des 16. Jahrhunderts aufleben zu lassen.
Ohne den Zweiten Kappelerkrieg allerdings. War dafür nicht genug Geld?
Ich wollte keine Schlacht zeigen, keinen «Braveheart» aus «Zwingli» machen. Genauso wenig, wie es ein Schulfilm werden sollte oder ein christlicher Überzeugungsfilm. Mir ging es um Emotionen.
Sie durften das Grossmünster auf den Kopf stellen. Weshalb hat man Ihnen das durchgehen lassen?
Wir waren zuerst beim Hochbauamt, dann bei der Kirchgemeinde, anschliessend beim Kanton, bei der Stadt, der Musikkommission, der Denkmalpflege … Eine hochkomplexe Geschichte. Aber es ist eine Riesenfreude, dass es uns gelungen ist, das Grossmünster wie eine katholische Kirche aussehen zu lassen.
Zwingli hat vorgelebt, was die Schweiz bis heute stark macht: Pragmatismus, Selbstvertrauen und Humanismus.
An Weihnachten 1518 befand sich Ulrich Zwingli buchstäblich zwischen den Stühlen. In Einsiedeln, wo er bisher als Pfarrer tätig war, hatte er gepackt. Die Weihnachtspredigt hielt er vermutlich noch dort. Dann zog er nach Zürich, wo er ab dem 1. Januar 1519 am Grossmünster wirkte.
500 Jahre später feiern wir das Zwingli-Jahr. Doch wessen gedenken wir eigentlich? Eines Quasi-Heiligen? Nein, Zwingli war kein Mister Perfect. Was er aber war und was ihn von Luther oder Calvin unterscheidet: Zwingli war der Menschenfreund unter den Reformatoren.
Auf direktem Weg in den Untergang?
Es gibt eine Schrift des italienischen Renaissance-Humanisten Pico della Mirandola mit dem schönen Titel «Über die Würde des Menschen». Sie war für den jungen Zwingli eine Erleuchtung. Sie ist ein Plädoyer für das Vertrauen in den Verstand. Fürs Selber-Denken statt fürs Andere-denken-Lassen. Gott habe dem Menschen den eigenen Willen gegeben, «damit du wie dein eigener, frei entscheidender, schöpferischer Bildhauer dich selbst zu der Gestalt ausformst, die du bevorzugst». Eine Vorstellung, die in der Renaissance revolutionär war. Heute ist sie normal. Normal und doch brüchig, denn was heisst schon «frei»? Haben wir die Kraft und das Selbstvertrauen, frei, also eigenständig zu denken? Oder sind wir Gefangene von Denkmoden, von «Narrativen», wie es im akademischen Renommierduktus heisst?
Die Realität wird immer komplexer – und ihre Deutung immer anspruchsvoller. Umso grösser ist die Versuchung, uns an vorgefertigten «Erzählungen» zu orientieren, die behaupten, die Realität zu schildern. Und da zu unserer Mentalität die Lust am Schauderhaft-Apokalyptischen gehört, erfreuen sich besonders die Niedergangsnarrative einer grossen Anhängerschaft. Die nächste Finanzkrise? Steht unmittelbar bevor. Der Kollaps der EU? Wenn nicht heute, so bestimmt morgen. Trump? Führt uns in den Dritten Weltkrieg. In der Doctor-Doom-Optik befinden wir uns stets auf direktem Weg in den Untergang.
Natürlich ist vieles auf dieser Welt unvollkommen, ungerecht und unsympathisch. Natürlich stehen wir vor gewaltigen Herausforderungen – die grösste ist der Klimawandel. Doch sollen wir deswegen die technologischen, sozialen und intellektuellen Fortschritte übersehen? Sollen wir ignorieren, dass die Zahl der Hungerleidenden weltweit sinkt? Und was unser eigenes Umfeld betrifft: Ist es nicht bemerkenswert, dass in den Nachbarländern die Traditionsparteien implodieren, dass in Italien, Osteuropa oder den USA Männer regieren, die man lieber auf Distanz hält – derweil bei uns vergleichsweise stabile Verhältnisse herrschen?
Ein bisschen Demut hilft
«Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut», hat der Grieche Perikles gesagt. Freiheit braucht Mut. Aber welchen Mut? Den Heldenmut der Winkelriede, die sich pathetisch aufopfern? Oder eher den subtilen Mut von Reformator Zwingli? Er vereinte Eigenschaften, die ihn 500 Jahre nach seiner Ankunft an der Limmat zu einer Art Herold der Gegenwart machen: Zwingli war Pragmatiker. Aufgewachsen im Toggenburg, «in der Luft der Freiheit», wie er bekannte, besass er genug Selbstvertrauen, um sich vom Realitätssinn statt von Dogmen leiten zu lassen. Dazu gehörte, dass er – ausgehend vom Wissen um die eigene Unzulänglichkeit – Unvollkommenheit und Widersprüchlichkeit akzeptierte, Autoritäten mit Misstrauen begegnete und sich als Anwalt des Gemeinwohls verstand.
Unser politisches System ist so etwas wie der Verwalter von Zwinglis Erbe. Es zähmt, es zwingt zu vernünftigen Lösungen, und es gelingt ihm immer wieder mirakulös, widerstreitende Interessen auszugleichen, sodass am Ende gute Resultate entstehen. Gottgegeben sind diese Qualitäten freilich nicht. Wir müssen sie stets neu erstreiten: indem wir uns selbstbewusst das freie Denken zutrauen, aber bescheiden der eigenen Grenzen bewusst bleiben. Das macht uns skeptisch gegenüber intellektuellem Herdentrieb, aber respektvoll gegenüber Andersdenkenden. Und was – nicht nur, aber gerade auch an Weihnachten – zusätzlich hilft: ein bisschen Demut.
Pfarrer Christoph Sigrist ist Zwinglis Nachfolger. Was hält er vom Film über den Reformator, der einst Zürich umgewälzt hat?
Vor 500 Jahren wohnte Huldrych Zwingli in der Helferei, gleich neben dem Grossmünster. Heute lebt und wirkt dort Pfarrer Christoph Sigrist als sein Nachfolger. Ihn treffen wir in einem Sitzungsraum der Helferei, am Abend zuvor war er an der Premiere des Films, der in aller Munde ist. «Sie können mich schon als Zwinglis Nachfolger bezeichnen», sagt Sigrist. «Aber alle reformierten Pfarrerinnen und Pfarrer im Kanton Zürich und in der Schweiz sind seine Nachfolger.» Ausserdem teile er sich das Pfarramt im Grossmünster mit zwei anderen.
Sigrist kennt sich aber fraglos mit dem Reformator aus, nicht nur aufgrund seiner Position: Zusammen mit einem Musiker hat er das Singspiel «Die Akte Zwingli» geschrieben und aufgeführt; aus dem Projekt entstand darüber hinaus sein Roman «Anna Reinhart und Ulrich Zwingli».
Sigrist wurde dann für den Film, der diese Woche anläuft, um Rat gefragt. «Ich habe viel mit dem Regisseur und dem Hauptdarsteller gesprochen», erklärt Sigrist. «Lange vorher war schon die Drehbuchautorin Simone Schmid bei mir. Ich habe ihr erzählt, wie ich das Thema beim Singspiel anging.»
Das Singspiel und der Roman erzählen Zwinglis Geschichte nämlich aus der Sicht seiner Frau Anna Reinhart. Sigrist habe deswegen besonders darauf geachtet, wie die Filmemacher mit dieser Figur umgehen, und ihn habe gefreut, dass sie sich im Film mit Zwingli auf Augenhöhe bewegt. Nicht nur das: «Als roter Faden ist sie fast noch wichtiger als Zwingli.»
Tatsächlich steht die Liebesgeschichte zwischen dem Reformator (Max Simonischek) und der Witwe (Sarah Sophia Meyer) im Zentrum des Films. Der neue Leutpriester überrascht Anna, weil er kein Geld für die Seelenmesse ihres Mannes verlangt – es gebe gar kein Fegefeuer, also sei die Seelenmesse unnötig. Als daraufhin die Pest in Zürich wütet, pflegt sie Zwingli gesund. Und so verlieben sie sich ineinander.
Anna ist aber nicht nur Zwinglis Geliebte, sie wird auch zu seiner Schülerin – und erhebt schliesslich Einspruch, als er mit seinem Weggefährten Felix Manz (Michael Finger) über die Taufe streitet. Dieser will nur Erwachsene taufen, Zwingli ist das viel zu radikal. Als er die Todesstrafe für Manz unterstützt, ist Anna über diese Härte zutiefst enttäuscht.
Theologie fürs grosse Publikum
Als Zwingli gegen die katholische Innerschweiz in die Schlacht ziehen will, ist es Anna, die ihn daran erinnert, dass er sich doch einst gegen den Krieg ausgesprochen hat. Darauf antwortet er bloss: «Ich will für den Herrgott kämpfen.» So etwas könne man heutzutage nicht einfach so stehen lassen, findet Sigrist. Um mit dieser schwierigen Seite des Reformators umgehen zu können, brauche es eine Figur wie Anna Reinhart – mit ihr könne man aus heutiger Sicht kritische Fragen stellen.
Auch mit seinen Mitstreitern und Gegnern liefert sich der Kino-Zwingli immer wieder Diskussionen und Streitgespräche. «Das ist theologisch sauber durchdacht», meint Pfarrer Sigrist dazu. Wenn da zum Beispiel Zwingli mit seinem alten Freund Leo Jud (Anatole Taubman) und anderen Gelehrten im Grossmünster darüber diskutiert, wie man den Anfang des Johannesevangeliums richtig übersetzt. «Am Anfang war das Wort», so lautet der Vorschlag. Aber ist «Wort» wirklich die beste Übertragung für den altgriechischen Begriff «logos», müsste es nicht «Gespräch» heissen?
Der Film stelle theologische Kernfragen wie diese verständlich dar, sagt Sigrist. Und man sieht, dass viele Fragen, die Zwingli damals umtrieben, bis heute gültig sind. «Ich habe in vielen Szenen meine Arbeit entdeckt», so Sigrist. «In vielen Sätzen meine Sätze. Aber auch in vielen Widersprüchen meine Widersprüche.»
Was vom Reformator bleibt
Das echte Grossmünster im Film zu sehen, habe ihn sehr berührt. «Ich war ja oft vor Ort bei den Dreharbeiten», erzählt Sigrist. Einer seiner Söhne hatte zudem eine Statistenrolle als Chorherr. «Dabei hat es sich bewahrheitet, dass man am Originalschauplatz anders spielt als in Kulissen.»
Zwingli-Darsteller Max Simonischek zum Beispiel habe ihm gesagt, dass es für ihn etwas ganz anderes sei, wenn er im Grossmünster spiele – also dort, wo Zwingli einst selbst gestanden hat. «So geht es mir auch, wenn ich von der Sakristei den Chor hinunter ins Kirchenschiff gehe, um den Gottesdienst zu leiten», so Sigrist. «Da fährt es mir immer wieder ein: Du bist in dem Raum, wo einer vor 500 Jahren die Gesellschaft umgewälzt hat.» Das habe ihn radikalisiert in dem Sinne, dass er sich noch stärker für die politische Dimension der Kirche und für die Pluralität der Gesellschaft einsetze.
Ob es nun um die Frage der Obdachlosenarbeit geht oder um den Umgang mit den Muslimen in der Schweiz. «Wenn ich am Sonntag auf der Kanzel predige und am Montag nicht zu denen gehe, die unter die Räder kommen, dann habe ich meine Berufung zum Pfarrer nicht verstanden.» Sich einsetzen für die Schwächsten, das sei für ihn heute noch so wichtig wie für Zwingli vor 500 Jahren.